Sonntag, 12. Januar 2014

Oasen



Weihnachten und Silvester in Israel - einerseits naheliegend, weil dort hat doch alles angefangen mit dem Kindlein in der Krippe usw., andererseits werden in Israel Weihnachten (und Silvester) gar nicht gefeiert. Jesus war zwar Jude, wird aber dort nicht als das angesehen, als was die Christen ihn sehen: Gottes Sohn, also auch kein Grund seine Geburt zu feiern.

Ich wollte vor allen Dingen Jerusalem kennenlernen. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Letztlich war es nicht Jerusalem, die heilige Stadt, die mich faszinierte, auch nicht der landschaftlich beeindruckende See Genezareth, nicht Nazareth, auch nicht das Tote Meer, schon gar nicht Bethlehem (der Ort, den ich mein Leben lang mit Weihnachten in Verbindung gebracht habe) und es war nicht Tel Aviv, diese junge und quirlige Stadt am Mittelmeer - nichts davon wird mich dazu bringen, wieder nach Israel zu reisen.
Es war die Wüste, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt habe. Wie eine Offenbarung: die Judäische Wüste, gleich "hinter" Jerusalem. Man fährt nur wenige Kilometer und ist in einer anderen Welt. Stille, weiß-beige Weite mit grünen Tupfern, Oasen, auch weil es einige Tage vorher geregnet hatte. Alle Sinne ruhen aus. Zeit sich zu erden. Wunderbar. Die Wüste eine Oase in einem Wust von Religionen, Kulturen und Politischen Querelen.

10 Tage Israel. Mit den romantischen Vorstellungen aus meiner Kindheit, den Geschichten aus dem Religionsunterricht, dem alljährlichen Weihnachtsspektakel, aber auch mit dem Wissen um den Holocaust, dem Halbwissen um den Nah-Ost-Konflikt im Gepäck bin ich kurz vor Heiligabend in Tel Aviv gelandet. Natürlich war mir klar, dass nichts so sein wird, wie ich es mir vorstelle und doch: Es war dann nochmal ganz anders. Weder romantisch noch feindselig. Anders allein schon das Wetter: In Jerusalem war es kalt. In der Wüste war es gar nicht heiß, sondern angenehm frühlingswarm. Ok, die Jahreszeit halt. Im Sommer wird es anders sein. Morgens um 6.30 Uhr schien bereits die Sonne (ich dachte, ich hätte verschlafen..), aber um 17.00 Uhr war es bereits stockfinster (wie zu Hause). Das Essen war nicht viel anders als daheim, nur Bier und Wein wesentlich teurer. Wer braucht schon Bier und Wein?

Obwohl ich am liebsten alleine verreise, war ich dieses Mal mit einer Reisegruppe unterwegs, musste mich somit dem straffen Zeitplan des Veranstalters unterordnen. Trotz Sehnsucht nach mehr Schlaf und weniger Informationen war es insgesamt ok, denn schon nach wenigen Tagen habe ich es genossen, nichts selbst organisieren zu müssen. Vieles von dem, was ich gesehen, erfahren und erlebt habe, hätte ich nicht alleine organisieren können. Der Nachteil: früh aufstehen, Schlafmangel, meinen Instinkt und meine Bedürfnisse unterdrücken, nichts auf eigenes Faust entdecken dürfen, immer dem Trott unseres Reiseleiters folgen - der es im Übrigen strikt untersagte, vor ihm her zu laufen. So sind ihm 16 Frauen und 2 Männer immer brav mit Abstand gefolgt, es hatte zuweilen etwas von einer Hammelherde. Und was dieser Mann alles wusste! Unfassbar. Trotz Interesse und Neugierde, hab ich mich hin und wieder bewusst ausgeklinkt, mir inhaltsleere Oasen in der Fülle der Informationsflut gesucht, z.B mit den zahlreichen Katzen gespielt. Wie sonst hätte ich all das geballte Wissen verdauen können?

Bewaffnete Soldaten sind präsent, Check-Points, es gibt viele davon, um die israelische Bevölkerung vor palästinensischen Extremisten zu schützen. Aber ich habe in den 10 Tagen meines Aufenthaltes keine Auseinandersetzungen erlebt, keine Feindseligkeiten gespürt. Glück gehabt? Oder ist unsere Sicht von Israel durch die Sensationsberichterstattung getrübt? Ist alles halb so schlimm mit den Selbstmordattentätern usw.? Naja, sonst wären die Kontrollen und bewaffneten Soldaten ja überflüssig. Ich habe mich jedoch nie bedroht gefühlt, auch nicht am Flughafen beim Abflug nach Frankfurt, trotz eingehender Befragung der israelischen Security und gefühlten 10 Kontrollen (es waren aber wohl nur 5, oder?). Es war lästig. Zuhause im Stau auf der Autobahn zu stehen ist auch lästig.
So what!

Es hat mich fasziniert, dass unser Reiseleiter, ein gebürtiger Israeli, Jude, uns als Christen erzogene und sozialisierte Menschen aus Deutschland (Österreich, Polen und Luxemburg) das Neue Testament erklärt und näher gebracht hat. Ein Jude liest die Bergpredigt. Wunderbar!
Ein Gottesdienst an Heiligabend in Jerusalem, an dem auch Juden teilnehmen, zwar wohl eher nur als interessierte Zuschauer, egal. Interesse ist der Anfang für Verständnis. Wunderbar!
Dann der Pilgermarsch um Mitternacht nach Bethlehem. Bethlehem, für uns der Inbegriff von Weihnachten - Ihr Kinderlein kommet, zur Krippe her kommet in Bethlehem Stall...Bethlehem in echt: Check-Point, eine hohe Mauer, Schmutz und Lärm einer südländischen Stadt. Es gab sogar einen riesigen kitschigen Weihnachtsbaum und natürlich die Geburtskirche. Aber eben "nur" eine Kirche. Für mich, eine Kirche wie jede andere auch. Gott hab ich bisher weder in einer Kirche, noch einem Tempel, einer Moschee oder einer Synagoge gefunden. Ich sehe Gott im Lächeln eines Babys, der Berührung eines mir lieben Menschen, in der Fülle der Natur oder in mir selbst, wenn ich glücklich bin.

Nazareth. Jesus von Nazareth. Es gibt eine Kirche zu Ehren Mutter Gottes. Auf dem Platz davor beten die Muslime und ermahnen die Christen, ihre religiösen Gefühle nicht zu verletzten. Jede Religion will sich behaupten, die einen mit lauten Glockengeläut, die anderen mit dem über Lautsprecher zum Gebet rufenden Muezzin. Warum muss der Glaube an Gott so laut sein? Ist nicht viel eher die Stille der Weg zu Gott? Toleranz ist kein leichtes Unterfangen, wenn man überzeugt ist, seine Auffassung sei die einzig richtige und man müsste alle anderen davon überzeugen. 
Zurück zu den Muslimen: Gott zeugt keinen Sohn. Es gibt nur einen Gott! Andererseits: diese katholische Kirche für Maria wurde von einem jüdischen Architekten konzipiert und von muslimischen Arbeitern errichtet. Wunderbar! Eine Oase der Zusammenarbeit in der Wüste des religiösen Wetteiferns.

Jerusalem. Wir werden ehrfürchtig, wenn wir diesen Namen hören. Alles ist irgendwie heilig in dieser Wüste der konkurrierenden Frömmigkeit. Jede Religion nimmt für sich in Anspruch die Wahre zu sein und jede beansprucht Jerusalem als ihre heilige Stadt. Alles ist heilig in dieser Stadt, sogar der 2stündige Stau vom Flughafen Tel Aviv in die Altstadt von Jerusalem. Man fährt übrigens nicht in die Stadt, man zieht hoch nach Jerusalem. Eine Stadt der Vielfalt und der Toleranz. Wo sonst backt ein muslimischer Bäcker das Brot koscher für gläubige Juden in einem christlichen Gebäude? Wunderbar! Eine Oase.


Nicht alle Juden sind religiös. Es gibt Menschen, die mit Religion nichts am Hut haben. sie leben eher sozialistisch im Kibbutz, machen die Wüste urbar, entwickeln Ideen, z.B. um Wasser zu sparen und pflanzen Bäume - in der Wüste. Ich habe großen Respekt vor diesen Menschen und wünsche ihnen viel Erfolg. Die Kibbutze sind Oasen in der Wüste, aber sie müssen sich durch hohe Zäune und aufwendige Sicherheitsvorkehrungen schützen vor - ja vor was? Vor Anschlägen, vor den wilden Tieren der Wüste? Schade. Oasen mit Stacheldraht drumherum.


Und es gibt die Beduinen, die schon seit Urzeiten mit den Unwägbarkeiten der Wüste zurecht kommen, indem sie sich anpassen, (demütig) das nehmen, was da ist. Aber ich hab vor den Zelten und Behausungen nicht nur Esel und Kamele, sondern auch Autos gesehen und  waren da nicht sogar Satellitenschüsseln? Anpassen eben. Warum auch nicht? Wir sind alle gleich in unserem Bedürfnis, es möglichst bequem zu haben. Wenn man selbst am Computer sitzt und Posts schreibt, sollte man von anderen Menschen nicht Einfachheit und Ursprünglichkeit erwarten.

Für mich war die Quintessenz dieser Reise der kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt, dass es durchaus möglich ist, miteinander auszukommen, auch wenn man unterschiedliche Auffassungen hat, wie man Gott gerecht werden sollte. Ok, es gibt Stacheldraht und militärische Präsenz. Aber dabei geht es doch sicher schon lange nicht mehr um rein religiöse Befindlichkeiten, sondern vielmehr um handfestes wirtschaftliches und politisches Machtgehabe Einzelner oder fanatischer Spinner. 
Die Mehrheit der Menschen im Nahen Osten (genauso wie in der übrigen Welt), sie wollen einfach nur leben. Man sollte aufhören, zu fragen, ob einer ein Muslime, ein Jude oder ein Christ oder sonst was ist - man sollte einfach nur den Menschen sehen. Und dann auf einmal entsteht Sympathie, für diesen einzelnen Menschen. Eine Oase des Wohlwollens, des Verständnisses in der Wüste der Schubladen und Ideologien.

Religion ist die Vorstellung von Menschen, was oder wie Gott sein könnte. Sie ist nichts weiter als ein Modell, um etwas zu begreifen, was für uns nicht begreifbar ist. Eben weil wir nur Menschen sind. Jeder Mensch hat eigene Vorstellungen und Ideen von Gott, daher sind die religiösen Auffassung so mannigfaltig wie wir Menschen selbst. Es gibt weder die einzig wahre Religion noch die einzig wahre Wahrheit über Gott. Wir wissen nichts, wir vermuten - wir GLAUBEN.

Juden, Christen, Muslime, alle glauben an denselben Gott. Jede Religionsgemeinschaft meint, nur sie mache es richtig. Ich selbst fühle mich keiner Glaubensgemeinschaften zugehörig. Ich bin zwar als Christin sozialisiert, aber ich mag auch Facetten anderer Religionen. Und: mein Glaube ist eher still. Das laute Glockengeläut der Kirchen finde ich bisweilen ebenso anmaßend wie das mehrmals tägliche Rufen des Muezzins zum Gebet. Wieso können die Menschen nicht in der Stille Gott danken, in Oasen der Ruhe?

Sicherlich liebt Gott seine Schöpfung und damit auch die Menschen so, wie sie sind. Ist ihm wirklich an Ritualen  gelegen? Oder haben nicht vielmehr die Menschen Rituale entwickelt, um sich damit von ihrer Schuld, ihrem schlechten Gewissen frei zu kaufen?  Für mich besteht die Hingabe zu Gott in tiefer stiller Dankbarkeit für mein, für unser Leben, für das Wunder dieser Welt. Gott mischt sich nicht ein, wie könnte er auch? Schließlich liebt er alle seine Geschöpfe und kann nicht Partei ergreifen. Jeder ist auf seine Art speziell und prächtig, wertvoll.

In Israel habe ich das Wunder der Schöpfung in der Wüste gesehen. Für mich war die Wüste eine Oase der Stille. Selten habe ich die Welt so friedlich und ruhig erlebt wie in der Judäischen Wüste. Ich habe gestaunt über die Farben- und Formfülle der Steine und Felsen der Negev-Wüste. Pflanzen und Tiere, die auf wundersame Weise von nur sporadisch vorkommendem Wasser leben. Die endlos erscheinende Weite beruhigt Augen und Verstand. Die Farben- und Formenpracht macht glücklich. Lädt ein, dankbar und zufrieden zu sein. Und ganz still an Gott zu denken.

Ja, ich werde wieder kommen!
Eure Mo


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