Sonntag, 5. Oktober 2014

Pessimismus als positive Lebenseinstellung

Pessimisten als Menschen mit positiver Lebenseinstellung? Warum nicht! Doch lieber ein halbleeres Glas als ein halbvolles?
Wer kennt das nicht? Wir haben uns auf etwas gefreut, haben fest damit gerechnet und dann ist alles ganz anders gekommen.
Oder wir haben mit dem Schlimmsten gerechnet und dann war es doch recht erträglich.
War nicht im ersten Fall die Enttäuschung viel größer im zweiten Fall die Erleichterung? Wenn uns unerwartet etwas Gutes widerfährt, dann ist das wie ein Geschenk. Aber wenn uns etwas genommen wird, das uns schon sicher schien, dann empfinden wir Bitterkeit und Schmerz.
Das sogenannte positive Denken, d.h. immer das Bestmögliche erwarten, hat seinen Preis in der Ent-Täuschung, der Er-Nüchterung, wenn es dann doch nicht eintritt. Das Leben ist nicht ungerecht zu uns, es ist so, wie es ist.

Warum also passiv, sich als Opfer der Umstände sehen und sich ent-täuschen lassen? Besser, wir ent-täuschen uns selbst und nehmen damit der Realität die Schärfe.

Bestätigt von meiner vagen Ahnung, dass es oft besser ist, sich das Schlimmstmögliche auszumalen als auf das Bestmögliche zu hoffen, wurde ich durch das Buch von Rebekka Reinhard: "Die Sinn-Diät -Philosophische Rezepte für ein erfülltes Leben". Vor allem in Kapitel 12: "Pessimismus gegen Unzufriedenheit" arbeitet sie überzeugend die Vorzüge einer eher pessimistischen Sichtweise heraus. Dies möchte ich im Folgenden mit meinen Worten zusammenfassend wiedergeben.

Meistens sind wir entweder unzufrieden oder wir langweilen uns, alles wird darauf abgeklopft, ob es uns "was bringt" oder uns gut tut. Wir sind der Mittelpunkt der Welt und alles dreht sich in unserem Leben um unserer Wohlergehen. Wir suchen unser Glück in äußeren Ereignissen, anstatt Zufriedenheit in uns selbst finden zu wollen. Und wenn es uns gut geht, dann überlegen wir, ob es uns nicht noch besser gehen könnte. Wir erwarten und fordern ein schönes Leben, Glück im Überfluss.

Alfred Schopenhauer (1788 - 1860) jedoch war überzeugt, dass die Welt eine Hölle und alles Glück illusorisch sei. Er riet, immer den Wandel im Auge zu behalten: Nichts bleibt (so gut) wie es ist und lieber auf das Schlimmste gefasst sein als das Optimale zu erhoffen. Der Pessimist hat den Vorteil, dass er nicht mehr enttäuscht werden kann, somit lässt sich dauerhafte Zufriedenheit nur mit einer pessimistischen Grundhaltung erreichen.

Zur pessimistischen bzw. skeptischen Einstellung gehört auch die Akzeptanz des Unvermeidlichen, des Tragischen, des Ärgerlichen. Es gibt kein Anrecht auf Glück. Sobald wir uns von der Illusion befreien, alles müsse zu unserem Besten sein, können wir uns befreit zurücklehnen und die unerwarteten Momente des Glücks genießen. "Wir leiden nicht an den Umständen, sondern an unseren Gedanken."(s. Seite 184). Sich über Unglück, das uns widerfährt den Kopf zu zerbrechen, führt zu nichts. Besser ist, die Gegebenheiten anzunehmen und aus den Steinen, die uns in den Weg gelegt werden, unsere Schlösser bauen. Weniger hoffen, weniger bangen, mehr akzeptieren. Wir können weder in die Zukunft sehen noch unser Leben kontrollieren. Egal wie sehr wir planen und berechnen, es reicht oftmals nur eine Kleinigkeit und alles war umsonst: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.  Dann bleibt nur zu akzeptieren und angemessen zu reagieren. Wohl dem, der sich schon im Vorfeld mit Alternativen beschäftigt hat oder flexibel genug mit Unvorhergesehenem umzugehen weiß.


Es geht nicht darum, alles schlecht zu reden, sondern vielmehr seine Erwartungen runterzuschrauben, seine Illusionen zu  relativieren. Pessimistische Sichtweise verdammt nicht das Schöne aus unserem Leben. Sie befreit uns jedoch von dem Zwang, ein perfektes Leben führen zu müssen. Die Suche bzw. die Sucht nach dem Optimalen versperrt uns die Sicht auf das Gute. Akzeptanz des Jetzt, auch wenn mittelmäßig oder gar scheußlich ist, lässt uns gelassener und letztlich zufriedener werden.
Wir sollten auch nie vergessen - trotz all dem, was in unserem Leben schiefgelaufen ist, was wir falsch gemacht haben und welche Katastrophen wir durchlebt haben - wir sind noch da!


(nach dem Buch von Rebekka Reinhard: Die Sinn-Diät - Warum wir schon alles haben was wir brauchen - Philosophische Rezepte für ein erfülltes Leben, 2. Auflage, München, Wilhelm Heine Verlag 2011)

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